FAQ

Antworten auf Fragen, die wir immer wieder mal gestellt bekommen.
Martin Gruber im Gespräch mit Dagmar Ullmann-Bautz.

Weshalb habt ihr euch für diese Trilogie entschieden, welche Gedanken und Ideen stehen dahinter?

Schon 2014 haben wir nach unserem Plätzchen in der „Pension Europa“ gesucht. Obwohl damals schon einiges im Argen lag, hat sich die politische Situation durch die jüngsten Umwälzungen natürlich zugespitzt. Analog dazu hatten wir das Verlangen, die bestehenden Produktionen einer Frischzellenkur zu unterziehen. Wobei „frisch“ hier wahrscheinlich das falsche Wort ist. „Gnadenloser” wäre wahrscheinlich das bessere Adjektiv.

Worauf zielt der Titel „Trilogie des Scheiterns“?

Ohne die Floskel „Scheitern als Chance“ bemühen zu wollen, ist eine Auseinandersetzung mit dem “Scheitern” als Theatermensch natürlich immer interessant. Hier erfahren wir oft mehr über unsere Ängste, Nöte oder Sehnsüchte, als wenn wir das „Gelingen“ etwaiger Unternehmungen untersuchen. Komischer, zugleich tragischer, ist es auch. Im Scheitern liegt, wenn ich das sagen darf, auch mehr Poesie. Zumindest ist es am Theater so. Seit den alten Griechen. Der Subtitel bezieht sich selbstredend auch auf das Scheitern im europäischen Ganzen. Die Frage ist: Wo deckt sich, heruntergerissen auf das Individuum, das „Scheitern“ im sogenannten Kleinen, mit dem sogenannten großen Ganzen, also Europa? Oder auch darüber hinaus.

Obwohl das Projekt Europa, um es der Korrektheit willen zu erwähnen, glücklicherweise nicht gänzlich gescheitert ist, sind wir immer dann in die Scheiße gefahren, um es einmal banal zu formulieren, wenn einer (meistens ist es einer) seine eigenen Interessen, oder die seiner Klientel, durchgedrückt hat. Ob jetzt in der Wirtschaft oder in der Politik.

Vielleicht jetzt doch ein Satz über das „Gelingen“?

Unter uns gesagt: Natürlich geht es letztlich immer um das „Prinzip Hoffnung“! Sonst macht man ja kein Theater. Ein „Gelingen“ könnte mit der Wahrnehmung der Bedürfnisse jeder und jedes Einzelnen zu tun haben, um mal etwas Konstruktives zu sagen. Ich habe in den vergangenen 30 Jahren aktionstheater ensemble, aber auch privat, die Erfahrung gemacht, dass jegliche Form von Aggression dann entsteht, wenn Menschen sich nicht wahrgenommen fühlen. Das lässt sich, glaube ich, auch auf alles Politische hochschrauben.

Und was kann da das Theater bewirken?

Theater oder Kunst im Allgemeinen ist Wahrnehmung auf einer anderen, nicht zwingend kognitiven, Ebene. Mit den Mitteln der Fantasie, der paradoxen Intervention, der Zuspitzung, dem Hochschrauben alles Menschlichen ins Absurde usw.

Inwiefern hängen die Stücke zusammen? Oder kann man jedes einzelne auch als Solitär betrachten?

Mir ist wichtig, sämtliche Stücke – jedes einzelne für sich – auch stehen lassen zu können. Ich glaube aber schon, oder ich hoffe es zumindest, dass die Auseinandersetzung mit allen dreien für das Publikum einen Mehrwert bedeutet. Es gibt in den jeweiligen Produktionen immer wieder einen Querverweis auf das jeweils andere Stück. Einer der Grundansätze in diesem Triptychon ist ja, dass wir versuchen, verschiedenste Aspekte des gesellschaftlichen Mit- oder auch Gegeneinanders herauszuschälen. Gewisse Schauspieler:innen kommen ja nicht nur in einer Produktion vor. Die Frage ist also: Wie verhalte ich mich im jeweiligen Kontext? Es ist ja, zumindest für trainierte aktionstheater ensemble Besucher:innen, hinlänglich bekannt, das ein guter Teil unserer Charaktere ein gewisses narzisstisches Problem hat. Eine Frage kann also zum Beispiel lauten: Wo kann ich meinem Ego-Trip freien Lauf lassen? Und in welchem Kontext (Stück) funktioniert das nicht so gut, oder ist eine Ego-Show zumindest nicht unbedingt empfehlenswert? In Hinblick auf ein funktionierendes Miteinander.

„Die große Show“ war für November 21 geplant und ist dem Lockdown zum Opfer gefallen. Nun steht sie heuer nochmals auf dem Programm. Was erwartet das Publikum?

Obwohl sie es ungern zugibt, ist im Leben der einen Protagonistin (Babett Arens) nicht alles rund gelaufen. Jetzt will sie’s, anlässlich eines runden Geburtstages, noch einmal so richtig krachen lassen. Die Performance, der Theaterabend wird also umgehend zur Geburtstagsparty umfunktioniert. Der Anderen (Michaela Bilgeri), obschon etwas jünger, scheint das Glück auch nicht immer hold zu sein. Was bleibt ist die Möglichkeit, sich das Leben schön zu reden und die Andere abstinken zu lassen.

Der neurotische, aberwitzige Fight der zwei Frauen, die sich ihre politischen und sonstigen Weisheiten im hard-core Stakkato um die Ohren hauen, kackt dann ziemlich gnadenlos ab. Immer wieder unterbrochen wird das Ganze von einem relativ bekifft – oder verschlafenen (wir erfahren es nicht) – Jungmagier mit wirklich schönen Zaubertricks. Weitere illustre Gratulant:innen werden auch noch erwartet. Es darf gelacht und geweint werden.

„Pension Europa 01“ habt ihr 2014 im Bregenzer Festspielhaus gespielt. Weshalb nimmst du diese Produktion nochmals auf und was hast du vor, daran zu ändern und weshalb?

Wie bereits angerissen, machen wir das Stück fit für das Jahr 2022. Im Grunde ist es ein neues Stück, auch wenn die Struktur bleibt. Die ursprünglich reine Frauenrunde wird nun mit Benjamin Vanyek erweitert. Seine „Figur“ fügt sich mit den Erfahrungen eines schwulen jungen Mannes ganz gut ins große Ganze. Statt Alev Irmak spielt nun die Deutsch-Israelin Tamara Stern, was den Abend definitiv nicht weniger spannend macht. Das diverse Ensemble (eigentlich eine Selbstverständlichkeit) kämpft um einen Platz. Gerade in diesem Stück kommt der vorher erörterte Wahrnehmungs-Diskurs massiv zum Tragen. Gleichzeitig ist „Pension Europa 01“ auch das vielleicht versöhnlichste Stück. Es wird zwar relativ gnadenlos um Deutungshoheit des jeweiligen Lebensentwurfes gekämpft, am Ende obsiegt jedoch die Erkenntnis, dass wir alle zwar ein bisschen daneben, im Grunde aber ganz ok sind.

„Pension Europa 02“ lief erfolgreich im letzten Mai im Vorarlberger Landestheater. Wird auch an dieser Performance noch nachgeschärft?

Nachdem es die jüngste und somit aktuellste Produktion ist, wird diese Arbeit in den Grundzügen grosso modo bestehen bleiben. Das Stück „Pension Europa 02: Lüg mich an und spiel mit mir” behandelt ja eine allgemeine Verstörung, die sich unter anderem mit dem völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine breit gemacht hat. Wie gehen wir damit um, dass ein souveräner Staat angegriffen wird? Nach dem Motto: „Das könnte ja auch uns betreffen”. Würden wir etwa auch eine Waffe in die Hand nehmen? In meinem näheren Umfeld zumindest keiner. Ich schon gar nicht.

Seit mehr als 30 Jahren befassen wir uns beim aktionstheater ensemble mit patriarchalen Strukturen und deren Auswirkungen auf unsere Gesellschaft. Der Imperativ könnte also lauten: “Pack deinen Pimmel wieder ein, benutz ihn für was anderes und fang an mit mir zu reden!“ In den Ländern, die von Xi Jinping, Putin usw. geführt werden, ist das nicht möglich. Wir dürfen – noch – sagen, was wir denken. Auch wenn Silicon Valley mithört. Es geht doch wohl um die Vision eines Europas der gleichberechtigten Individuen, nicht der „Vaterländer“. Faschismus ist aber leider immer noch eine Option – siehe Italien. Das Gegensatzpaar – hier die Masse mit einem Leader, der sich einen runterholt, und dort das selbstbestimmte Individuum auf die Bühne zu stellen – ist aber unsere Sache nicht. Der spannendere Ansatz ist wohl diversen Machtfantasien in uns selbst – verschärft – nachzuspüren.

Gibt es noch etwas hinzuzufügen?

Obwohl wir diese Trilogie mit einem großen Ensemble auffahren, allein die neu komponierte Musik wird von sieben Musiker:innen bestritten, haben wir uns, eingedenk der aktuellen Teuerungen, für einen Pass entschieden: Es ist so ähnlich wie beim Spar. Kauf zwei und zahl weniger. Der Unterschied ist nur, dass man vielleicht nicht unbedingt zwei Essigflaschen braucht. Zwei Theaterabende hoffentlich schon.

Das Interview führte Dagmar Ullmann-Bautz mit Martin Gruber für die KULTUR – Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft.