Über die Arbeitsweise des aktionstheater ensemble
von Martin Gruber
Gerade in jüngster Zeit werden, analog zum Zeitgeschehen, glücklicherweise auch am Theater, Hierarchien und Machstrukturen in Frage gestellt. Der allwissend sakrosankte Autor, Regisseur etc. (meist männlich), kurz der sexistische Macho, scheint seinem wohlverdienten Ende entgegenzublicken. Soweit die Hoffnung von uns und auch manch anderer. Unser Ansinnen ist aber nicht, und das mag manche enttäuschen, die Abschaffung von Funktionen wie Autor:in, Choreograf:in oder Regisseur:in. Das uns ab und an attestierte Prädikat „Kollektiv“, möchte ich also an dieser Stelle mit dem Begriff „kollaborativ“ ersetzen.
Unser Ansatz ist, wenig überraschend, das Zusammenspiel von Akteur:innen auf der Bühne und mir als Regisseur und Autor. Entgegen dem herkömmlichen, bereits im Vorfeld eines Probenprozesses geschriebenen dramatischen Text aber, kann sich die Direktive, die inhaltliche und ästhetische Richtung, welche eingeschlagen werden will, ständig ändern. Etwaige aktuelle politische Vorkommnisse, der – vermeintlich – lapidare Satz einer Probenbesucherin, die musikalische Intervention eines Musikers und vor allem die verschriftlichten Assoziationen der Schauspieler:innen wie auch die hinzugezogenen Dramatiker:innen – sie alle sind die Mitautor:innen des zu gestaltenden Stückes – treiben die „Handlung“, oder besser die Komposition mehrerer ineinander verwobener „Handlungen“ an.
Es geht um die Kenntlichmachung der Lebensrealitäten aller im Arbeitsprozess Beteiligten. Um das Sichtbarmachen von Diversität. Am Anfang einfach nur durch die bloße Präsenz der agierenden Personen mit ihren verschiedenen Hintergründen. Die Vertreter:innen der sogenannten Minderheiten wie auch die der sogenannten Mehrheiten. Dann erst greift das aktionstheater ensemble Paradigma, dass hier das Politische, auf das sogenannte Persönliche, das Private trifft, beziehungsweise heruntergerissen wird.
Insbesondere wird mit dem überraschenden Einsatz mit der alle faschistoide politische Macht zersetzenden Kraft des Humors gearbeitet. Gleichzeitig, ebenso überraschend oder abrupt, der Twist in die Tragödie. Weiters darf naturgemäß die alles stabilisierende und gleichzeitig destabilisierende Trivialität des Alltags nicht vergessen werden. Alles das, eine ziemliche Herausforderung bei der Textarbeit. Die theatrale Umsetzung passiert freilich mit dem Einsatz der gleichwertigen Bedeutungsträger Text, Choreografie, Musik, Bühnenbild, Video etc… Nur das Zusammenspiel dieser Tools kann eine etwaige Poesie erzeugen. Weil das Theater eben kein reines Hörspiel auf Stelzen ist.
Um dies Alles, im besten Falle, zu erreichen, braucht es mitunter eine geradezu krankhafte Disziplin im Arbeitsprozess, den Außenblick des neurotischen Regisseurs (mit der Verabschiedung aller Klischees kann ich an dieser Stelle nicht dienen), bei der bisweilen jeder Blick choreografiert wird. Und auf der anderen Seite: Anarchie, Lust und Liebe, oder die künstlerische Potenz jedes und jeder einzelnen Mitwirkenden. Wir alle im Einsatz für das Publikum. Um die sogenannte Realität, mittels Verdichtung, Dekonstruktion und Poesie auf jene Ebene zu heben, die im idealen Fall neue Erlebnisräume öffnet. Und das, analog zum Zeitgeschehen, immer wieder aufs Neue. Was bleibt ist die ständige Veränderung.
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Einblick von außen: Über das aktionstheater ensemble
von Andreas Erdmann
Der Gründer und Leiter des aktionstheater ensemble, Martin Gruber, hat im Laufe des Bestehens seiner Gruppe – aber vielleicht sollte man sie eher ein Projekt nennen – eine eigene Theaterform erfunden, und entwickelt diese ständig weiter, die sich mit hergebrachten Begriffen nicht leicht fassen lässt. Auch die vielen Bewunderer der Shows des aktionstheater ensemble stoßen öfters an die Grenzen ihrer Beschreibungskunst und erzählen, so sie dazu aufgefordert werden, dann die Stücke einfach nach. Was ja vielleicht nicht das Schlechteste ist.
Die Shows der letzten Jahre des aktionstheater ensemble könnte man, in Anlehnung an Schiller, dramatische Gedichte nennen. Denn verdichtet wird hier eine ganze Menge: Sprache, Körper und Musik, Choreografien, Erfahrungen, persönliche Recherchen und historische Ereignisse: Raum und Zeit. Menschen, die auch Schauspieler sind, stehen auf der Bühne, singen, tanzen, leiden und erzählen, interagieren in dramatischer Form und erschaffen ein Geflecht aus allen theatralischen Disziplinen, die ein Vexierspiel miteinander treiben. Denn unter anderem diese Fragen machen auch das Faszinosum des aktionstheater ensemble aus: Spielen die Schauspieler auf der Bühne Rollen oder kommen sie als sie selbst? Sind ihre Geschichten Satiren oder Selbsterfahrung? Machen sie sich lustig oder soll das eine Art von Therapie sein? Ist das alles, im Zusammenfinden von Musik, Bewegung, Sprache und Aktion, eine große improvisierte Jam-Session oder eine ausgezirkelte Komposition? Und zuletzt: Bergen diese – manchmal ätzenden – Bestandsaufnahmen einen Kern von Optimismus oder ist das alles schwefeliger Hohn in der Tradition Nestroys (so hoch darf man schon mal greifen).
Gruber lässt sich nicht ganz in die Karten schauen, aber soviel wird doch klar: es gibt vor jedem Stück, zu jedem Thema, ausgedehnte gemeinsame Recherchen. Der Regisseur lässt sich von seinen Schauspielern Erfahrungen erzählen, er befragt die Schauspieler, erforscht sie, tastet ihre Ansichten und Leben ab, bis er an die kitzligen Stellen kommt. Durch eine gewisse Unerbittlichkeit (gepaart vermutlich mit menschlichem und künstlerischem Vertrauen) kommt man dorthin, wo die Hoffnungen und Ängste sitzen, wo der Mensch (Schauspieler hin oder her) nicht leidenschaftslos bleiben kann.
Auf der Bühne tauchen Ausschnitte aus diesen Sitzungen dann wieder auf und, was die, die es beschreiben wollen, so gerne in den Wahnsinn treibt: es ist nicht zu unterscheiden, ob das, was die Schauspieler dann vorstellen, gespielt, authentisch, übertrieben oder untertrieben, Komödie oder Wahrheit ist. Es ist einfach das Leben in einer besonders intensiven Form, die – bei allem Humor – oft bis zur kollektiven Katharsis reicht.
Und das hat, was nicht unerwähnt bleiben kann, nicht zuletzt mit der Intelligenz der Angelegenheit zu tun. Ohne weiteres erkennbar wohnt dem hier beschriebenen Prozess des aktionstheater ensemble scharfer Witz inne, der die persönlichen Paradoxien, aber auch die Schnittmengen zwischen privatem und gemeinsamem Erleben, zwischen Performern und Publikum blitzartig erkennt und unerbittlich in den Fokus nimmt.
In der Redaktion der gemeinsamen Recherche liegt ein mindestens so großer Teil ihres Genies wie in der Geduld und Unerbittlichkeit ihres Vorgehens. Das erkennt man schon an den – den Nerv der Zeit stets treffenden – Themensetzungen: Ob Marginalisierung eines kreativen Mittelstands, Willkommenskultur und Selbstbetrug, Angstgesellschaft und, um nur drei der jüngeren Shows zu nennen, immer wieder schafft es das aktionstheater ensemble auf die Gegenwart und die Gesellschaft zu reagieren ehe es andere Medien tun. Politisches Gespür, scharfe Analyse und ästhetische Vision sind der der Waffen des aktionstheater ensemble. Seien Sie daher gespannt auf seine nächste Vorstellung.
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Andreas Erdmann, war Dramaturg am Schauspielhaus Bochum und Schauspielhaus Zürich sowie Geschäftsführender Dramaturg am Schauspiel Frankfurt und Leitender Dramaturg am Burgtheater in Wien. Seit Herbst 2016 ist er Leitender Dramaturg für Schauspiel am Landestheater Linz.